Corona XVII: Störung von Lieferungen und Leistungen aufgrund Corona-Pandemie: Höhere Gewalt?
30. März 2020 | Vertriebsrecht, Internationales Recht, Vertragsrecht
Die Corona-Pandemie stellt Lieferverträge und Lieferketten in Frage. Kann sich ein Lieferant auf Höhere Gewalt (Force Majeure) berufen oder besteht eine Schadensersatzhaftung? Sind Unternehmen von ihren Lieferverpflichtungen gegenüber ihren Kunden frei, weil sie aufgrund Corona selbst nicht beliefert worden sind? Und können vereinbarte Lieferungen vielleicht einfach abgelehnt werden, weil der Bedarf und die Verarbeitungsmöglichkeiten aktuell nicht gegeben sind?
Das in der vergangenen Woche beschlossene „Corona Moratorium“ bietet im allgemeinen Vertragsrecht vor allem Schutz und Klarheit für Verbraucher und Kleinstunternehmer https://www.ksb-intax.de/blog/coronamoratorium-bundestag-schutz-verbraucher-kleinstunternehmer/.
Nachstehend werden die Rechtslage nebst Handlungsempfehlungen nach deutschem Recht (BGB) sowie nach UN-Kaufrecht (CISG) dargestellt.
1. Ausdrückliche Vertragsklauseln
Force-Majeure-Klauseln sind in der Vertragspraxis eher bei internationalen Verträgen gebräuchlich. Sieht der Vertrag allerdings eine Höhere-Gewalt-Klausel vor, ist nach der Klärung des anwendbaren Rechts die konkrete Formulierung maßgeblich. Eine Pandemie wie die gegenwärtige wird man sicher unter den Begriff Höhere Gewalt einordnen können. Allerdings sind nach den gängigen Klauseln die Vertragspartner häufig für die Dauer der Störung und im Umfang ihrer Wirkung von ihren Leistungspflichten befreit, eine automatische Vertragsauflösung ist damit aber nicht verbunden. Gängige Vertragspraxis ist vielmehr etwa, dass die Parteien verpflichtet sind, sich wechselseitig zu informieren und ihre Verpflichtungen den veränderten Verhältnissen nach Treu und Glauben anzupassen.
2. Keine Klauseln zu Höherer Gewalt
Sieht der Vertrag keine ausdrückliche Klausel vor und gilt UN-Kaufrecht (CISG), so bestehen dennoch gute Aussichten, sich erfolgreich auf Höhere Gewalt zu berufen (Art. 79 CISG). Dazu muss bewiesen werden, dass die Lieferung infolge der Corona-Pandemie unterblieben bzw. verzögert ist.
Ist dagegen deutsches Recht anwendbar, kann Unmöglichkeit nach § 275 BGB vorliegen. Dann muss der Lieferant (vorübergehend) nicht liefern und natürlich der Abnehmer keinen Kaufpreis zahlen. Schadensersatzansprüche des Abnehmers sind dabei nicht ohne weiteres vom Tisch, sondern nur dann, wenn die Nichtlieferung oder die Verzögerung nicht auf Fahrlässigkeit (oder Vorsatz) beruht. Aktuell wird man dies wohl – zumindest im Grundsatz – verneinen können.
Nach dem in der letzten Woche beschossenen Gesetz dürfen Verbraucher und Kleinstunternehmen ihre Leistung zur Erfüllung eines Anspruchs aus einem Dauerschuldverhältnis, das vor dem 8. März 2020 vereinbart wurde und
„zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich“ (oder bei Verbrauchern „zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich“) ist, bis zum 30. Juni 2020 verweigern. Das Gesetzt sieht allerdings vor, dass von dem Leistungsverweigerungsrecht kein Gebrauch gemacht werden darf, wenn dies für den Unternehmer, mit dem der Verbraucher den Vertrag geschlossen hat, unzumutbar ist. https://www.ksb-intax.de/blog/coronamoratorium-bundestag-schutz-verbraucher-kleinstunternehmer/.
Daneben kommt auch eine generelle Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) in Frage. Dann ist der Vertrag anzupassen oder – nachrangig – zu kündigen. Allerdings ist eine sorgfältige Betrachtung des Einzelfalls notwendig, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung der Risikosphären.
3. Wichtig: Unverzügliche und dokumentierte Mitteilung
Ist man von Höherer Gewalt betroffen, hat man dies seinem Vertragspartner unverzüglich mitzuteilen, damit er sich schnellstmöglich auf diese Situation einstellen kann. Bei unterlassener oder verspäteter Mitteilung wird die eigene Schadensminderungspflicht verletzt, so dass man sich nicht mehr auf die Höhere Gewalt berufen kann beziehungsweise für den durch eine Verzögerung entstandenen Schaden haften muss.
4. Keine Vorhersehbarkeit
Höhere Gewalt kann nur dann angeführt werden, wenn sie bei Abschluss des Vertrages nicht vorhersehbar war. Wer vor zwei Monaten einen Liefervertrag abgeschlossen hat und diesen heute wegen der Corona-Pandemie nicht erfüllen kann, hat entsprechend gute Aussichten. Für heute abzuschließende Verträge sieht dies allerdings anders aus. Notwendig ist daher in der aktuellen Situation, neue oder abändernde vertragliche Vereinbarungen ausdrücklich unter Vorbehalt sowohl der eigenen Lieferfähigkeit als auch der von Zulieferern zu stellen.
Bei Rahmenlieferverträgen, bei denen man sich zum Beispiel auf einen Zeitraum von einem Jahr zur regelmäßigen Warenlieferung verpflichtet hat, könnte man sich hinsichtlich des Rahmenliefervertrages auf Höhere Gewalt jetzt berufen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass jede einzelne Bestellung, die dann getätigt oder angenommen wird, ihrerseits einen Kaufvertrag darstellt. Mit Blick auf jetzt ausgelöste Bestellungen / Kaufverträge wird ein Berufen auf Höhere Gewalt kaum möglich sein.
5. Der Einzelfall zählt
Selbstverständlich muss jeder Einzelfall gesondert geprüft werden. Wichtig ist aber jedenfalls, den eigenen Vertragspartnern unverzüglich das Vorliegen von Liefer- oder Abnahmeengpässen mitzuteilen. Zudem ist Sorgfalt geboten, welche Aufträge noch ausgelöst beziehungsweise angenommen werden können, ohne diese unter den Vorbehalt zu stellen, möglicherweise auf Grund von COVID-19 nicht liefer- oder annahmefähig zu sein.
Bei rechtlichen Fragen rund um diese Themen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. KSB INTAX ist der Ansprechpartner für den Mittelstand in Niedersachsen. Wir unterstützen Sie gerne.