Transparenz im Vergabeverfahren - EuGH räumt Auftragsgebern mehr Spielraum bei Bewertungsmaßstäben ein
23. Mai 2017 | Öffentliches Recht
Mit der „Dimarso“- Entscheidung gibt der EuGH (Urteil vom 14.07.2016- C-5/15 – TNS Dimarso NV ./. Vlaams Gwest) öffentlichen Auftraggebern ein Stück Wertungsfreiheit zurück.
Vergabeentscheidungen aufgrund qualitativer Zuschlagskriterien
Nach nationalen und europarechtlichen Vorschriften kann die Vergabe nicht nur auf Grundlage des niedrigsten Preises, sondern anhand der Wirtschaftlichkeit, d.h. des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses eines Angebots erfolgen.
Kreativität vs. Kontrolle
Die Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien unterliegt in erhöhtem Maße dem Ermessensspielraum des Auftraggebers. Einerseits birgt dies größere Gefahren für behördliche Willkür und einer daraus resultierenden Wettbewerbsbeeinträchtigung. Andererseits ist es jenseits von mathematisch bestimmbaren Kriterien nahezu unmöglich, auf subjektive Bewertungselemente zu verzichten – gerade in Bezug auf die Ausschreibung von ganzen Konzepten zur Umsetzung bestimmter Aufgaben könnte eine zu genaue Festlegung im Vorfeld den Ideenwettbewerb behindern.
Das richtige Maß der Dinge
Fraglich ist daher, inwieweit der Bewertungsmaßstab bereits im Vorfeld des Vergabeverfahrens bekanntgegeben wird und wie bestimmt dieser ausgestaltet sein muss. Unbestritten fest steht, dass die konkreten Zuschlagskriterien (mit Haupt- und Unterkriterien) sowie deren Gewichtung in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen bekanntgegeben werden müssen.
Für die Bewertungsmethode stellt sich die Lage weniger eindeutig dar. Eine beliebte Bewertungsmethode ist das sog. „Schulnotensystem“, also eine Bewertungsskala, die eine konkrete Leistung an abstrakten Maßstäben misst. Seit 2015 gerät dieses häufig praktizierte System in die Kritik. Das OLG Düsseldorf entschied, dass ein solches System um vergaberechtskonform zu sein, erhöhten Transparenzanforderungen unterliegt. Für Bieter muss danach ersichtlich sein, welche Inhalte und Merkmale ihr Angebot enthalten musste, um eine bestimmte Notenstufe zu erreichen.
Klarstellung durch den EuGH
Der EuGH hat nun entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet ist, potentiellen Bietern im Vorfeld konkrete Bewertungsmethoden bekanntzugeben und betont, dass öffentlichen Auftraggebern ein gewisser Freiraum bleiben muss, um die (intern aber im Vorfeld zu bestimmende und in der Vergabeakte festzuhaltende!) Bewertungsmethode den Umständen des Einzelfalles anzupassen. Allerdings darf sich daraus keinesfalls eine nachträgliche Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung ergeben.
Dem folgt nun auch das OLG Düsseldorf unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung und kommt zu dem Schluss, dass mangels Pflicht zur Vorabbekanntgabe der Bewertungsmethode auch die Bekanntgabe einer abstrakten Bewertungsskala ausreichen muss.
Die eingeschränkte Transparenz im Außenverhältnis muss allerdings durch eine hohe Transparenz im Innenverhältnis (Dokumentation und Begründung der Wertungsentscheidung) kompensiert werden.
Quo vadis?
Das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen. Das OLG Düsseldorf hat zwar die Kriterien des EuGH berücksichtigt, allerdings betraf der Fall die alte Rechtslage. Nach der neuen Rechtslage, mit dem seit April 2016 reformierten GWB, ergeben sich jedoch möglicherweise wieder höhere Transparenzpflichten. Es ist daher nicht auszuschließen, dass deutsche Vergabekammern und Gerichte in Zukunft die reine Schulnotenskala wieder auf den Pausenhof verbannen und erneut die Vorabbekanntgabe konkretisierter Bewertungsmaßstäbe für das Vergabeverfahren fordern könnten.
Das Vergaberecht zeichnet sich durch große Komplexität für öffentliche Auftraggeber und (potentielle) Bieter aus. Behalten Sie den Durchblick, wir beraten Sie gerne!