Vertriebskartellrecht - Änderungen durch die neue Gruppenfreistellungsverordnung zum 1. Juni 2022 – Übergangsfrist für Altverträge bis 31.05.2023
10. Oktober 2022 | Vertriebsrecht
Zum 1. Juni 2022 hat die neue Gruppenfreistellungsverordnung für „Vertikale Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen“ die bisher geltende Verordnung abgelöst.
Insbesondere die folgenden vertraglichen Regelungen sollten daher sowohl in bestehenden Verträgen als auch in Mustervereinbarungen kritisch überprüft und kontrolliert werden:
- Exklusivitätsregelungen
- Gebietszuweisungen und Kundengruppenregelungen
- Mindestabnahmeverpflichtungen
- Wettbewerbsverbote
- Online-Shop Regelungen
Bestehende Vereinbarungen, die nach der bisherigen Gruppenfreistellungsverordnung vom grundsätzlichen Kartellverbot freigestellt werden konnten, sind bis zum 31.05.2023 an die neue Verordnung anzupassen!
Grundsätzliches
Nach § 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) sowie Art. 101 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) unterliegen „alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche (den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und) eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs (innerhalb des Binnenmarkts) bezwecken oder bewirken“ dem grundsätzlichen Verbot. Dieses Kartellverbot erstreckt sich damit auf eine Vielzahl von Vereinbarungen und Verhaltensweise zwischen Unternehmen, die sich auf den Europäischen Wirtschaftsraum auswirken und umfasst insbesondere vertragliche Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweise oder einen Informationsaustausch.
Die Gruppenfreistellungsverordnung stellt bestimmte Vereinbarungen von dem grundsätzlichen Kartellverbot frei. Dabei liegt es in der jeweiligen Verantwortung der Unternehmen selbst, eine mögliche Freistellung zu prüfen.
Allgemeine Freistellungsvoraussetzungen
Die Gruppenfreistellungsvereinbarung erfasst nur solche nicht-wechselseitigen Vereinbarungen, die zwischen Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Produktions- und Vertriebskette getroffen werden und nicht in den Anwendungsbereich einer spezielleren Gruppenfreistellungsverordnung fällt.
Die beteiligten Unternehmen dürfen keine tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerber sein. Unschädlich ist es, wenn die beteiligten Unternehmen auf der Groß- oder Einzelhandelsebene zwar Wettbewerber sind, nicht aber auf der Herstellungsebene. Auf der vorgelagerten Stufe darf somit kein Wettbewerbsverhältnis gegeben sein.
Hinzukommt, dass eine Freistellung nach der GVO nur in Betracht kommt, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils nicht mehr als 30% Marktanteil auf dem relevanten Markt haben.
Typischerweise unterfallen Vertriebsvereinbarungen zwischen einem Hersteller und einem Groß-/Einzelhändler daher der vertikal GVO und bestimmte grundsätzlich verbotene Vereinbarungen in diesen Lieferverträgen können dann nach der vertikal GVO freigestellt sein (wie beispielsweise Wettbewerbsverbote, Gebietsbeschränkungen, Mindestmengen).
Keine Kernbeschränkungen („schwarze Klauseln“)
Sofern die Gruppenfreistellungsverordnung grundsätzlich Anwendung findet (s.o.), darf die Vereinbarung zwischen den Unternehmen keine Kernbeschränkungen enthalten. Solche Kernbeschränkungen führen dazu, dass die Vereinbarung in Gänze der Freistellung nach der GVO entzogen ist. Zu den Kernbeschränkungen zählen insbesondere die folgenden:
- Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, die Preise für den Weiterverkauf selbst festzusetzen;
- Beschränkung des Verkaufs in bestimmte Gebiete oder an Kundengruppen (Ausnahme stellt die Beschränkung des aktiven Verkaufs in exklusiv zugewiesene Gebiete dar);
- Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets für den Verkauf der Vertragswaren oder Dienstleistungen
- Beschränkungen des Verkaufs von Ersatzteilen durch den Anbieter
Nicht freigestellte Beschränkungen („graue Klauseln“)
Die Vereinbarung darf keine „nicht-freigestellten Beschränkungen“ enthalten. Solche Beschränkungen führen zwar nicht dazu, dass die Vereinbarung in Gänze der Freistellungsverordnung entzogen ist, aber die jeweilige Klausel selbst. Dazu zählen insbesondere die folgenden:
- Wettbewerbsverbote von mehr als fünf Jahren;
- Nachvertragliche unangemessene Bindungen;
- Untersagung des Vertriebs anderer Marken gegenüber den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems;
- Bestimmte Beschränkungen bei dem Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen über Online-Vermittlungsdienste.
Neuerungen zum 1. Juni 2022
- Informationsaustausch im Dualen-Vertrieb: Sofern sich nach der Prüfung herausstellen sollte, dass ein Wettbewerbsverhältnis auf der Vertriebseben, nicht jedoch auf der vorgelagerten Ebene (zB Herstellung) vorliegt, ist die Verordnung dennoch einschlägig; es gilt aber die Einschränkung, dass nur solche Informationen mit dem Vertragspartner ausgetauscht werden dürfen, die direkt mit der Umsetzung der Vereinbarung in Zusammenhang stehen und zwingend erforderlich sind (zB Informationen über Produktregistrierungen, Handhabung und Verwendung der Produkte sowie Logistische Informationen).
- Alleinvertriebssysteme nun bis zu fünf Abnehmer exklusiv: Bei einem Exklusivgebiet, kann dieses nunmehr an bis zu fünf Abnehmer exklusiv vergeben werden. Dieses wäre dann konkret in den jeweiligen Vereinbarungen abzubilden.
- Klarstellung „aktiver Verkauf“ bei gebietsfremden Sprachoptionen: Grundsätzlich wird in der Freistellungsverordnung nach aktivem Verkauf und passivem Verkauf unterschieden. Letzteres darf in der Regel nicht beschränkt werden. Die neue Freistellungsverordnung stellt klar, dass gebietsfremde Sprachoptionen auf der Homepage grundsätzlich als aktiver Verkauf zu werten sind.
- Weiterleitung des Verbots aktiv in exklusiv zugewiesene Gebiete zu liefern: Nach der neuen Gruppenfreistellungsverordnung können die exklusiven Vertragspartner vor sogenannten Grauimporten geschützt werden. Es ist nunmehr zulässig, in einem Vertrag mit einem Abnehmer zu vereinbaren, dass dieser auch seinen Direktkunden das Verbot des aktiven Verkaufs in exklusiv zugewiesene Gebiete auferlegt.
- Online-Vermittlungsdienste: Es wird ausdrücklich klargestellt, dass Online-Vermittlungsdienste der Gruppenfreistellungsverordnung unterliegen; Regelungen und Anforderungen an Plattformen sind (unter anderem zu Bestpreisklauseln) neu strukturiert.
Übergangsfrist
Altverträge: für Altverträge, die nach der bisherigen Verordnung freigestellt waren, gilt eine Übergangsfrist bis zum 31.5.2023. Ab diesem Zeitpunkt beurteilt sich die Freistellung nach der neuen Verordnung, so dass Altverträge bis zu diesem Zeitpunkt auf erforderliche Änderungen überprüft und mit dem Vertragspartner neu gegengezeichnet sein sollten.
Neuvereinbarungen: neue Vereinbarungen, d.h. solche, die nach dem 31.5.2022 geschlossen werden/wurden, unterliegen der neuen Gruppenfreistellungsverordnung und sind anhand dieser zu prüfen und zu bewerten.
Weiteres
Vor dem Hintergrund der Aktualisierung der Gruppenfreistellungsvereinbarung sowie den erheblichen Sanktionen bei einem Kartellverstoß, lohnt sich die Überprüfung der aktuellen (Vertriebs-)Vereinbarungen auf mögliche kartellrelevante Klauseln und deren mögliche Freistellung nach der Verordnung. Wir unterstützen Sie dabei gern!