Inventur
17. Oktober 2023 | Jahresabschlussprüfung, Sonderprüfung
Inventur – ein Wort, das in der Geschäftswelt oft mit einem Seufzer und einer Prise Stress verbunden ist. Doch hinter diesem scheinbar bürokratischen Aufwand verbirgt sich weit mehr als nur das Zählen von Waren und Beständen. Schließlich bildet die Inventur auch die Grundlage für die spätere Bewertung. Daher lohnt es sich, einen genaueren Blick auf das Thema Inventur zu werfen.
Erstellung des Inventars
Voraussetzung für die Aufstellung der Bilanz ist die Aufzeichnung der einzelnen Vermögensgegenstände (Inventar). Insbesondere die Erfassung des Vorratsvermögens (Bilanzpositionen: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige und fertige Erzeugnisse, Waren) erfordert grundsätzlich eine körperliche Bestandsaufnahme (Inventur).
Das Vorratsvermögen kann auch mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden aufgrund von Stichproben ermittelt werden, wenn das Ergebnis dem einer körperlichen Bestandsaufnahme gleichkommt (§ 241 Abs. 1 HGB). Als weitere Inventurerleichterungen kommen die Gruppenbewertung (siehe Tz. 6.1) und der Festwert (siehe Tz. 6.2) in Betracht.
Zeitnahe Inventur
Zeitverschobene Inventur
Die körperliche Bestandsaufnahme kann an einem Tag innerhalb der letzten drei Monate vor oder der ersten zwei Monate nach dem Bilanzstichtag durchgeführt werden, wenn durch ein Fortschreibungs- oder Rückrechnungsverfahren die ordnungsmäßige Bewertung zum Bilanzstichtag sichergestellt ist. Die Fortschreibung kann nach der folgenden Methode vorgenommen werden, wenn die Zusammensetzung des Warenbestands am Bilanzstichtag nicht wesentlich von der Zusammensetzung am Inventurstichtag abweicht:
Körperliche Inventur 30. November[1] 220.000 €
+ Wareneingang 1. bis 31. Dezember 70.000 €
./. Wareneinsatz[2] 1. bis 31. Dezember 90.000 €
Inventur-/Bilanzwert 31. Dezember 200.000 €
Es ist auch zulässig, Teile des Warenbestands am Bilanzstichtag und andere Teile im Wege der Fortschreibung bzw. Rückrechnung zu erfassen. Bei Vermögensgegenständen mit hohem Wert, hohem Schwund oder Gegenständen, die starken Preisschwankungen unterliegen, ist eine zeitverschobene Inventur regelmäßig nicht anwendbar. Vgl. dazu auch R 5.3 Abs. 2 und 3 EStR.
[1] Alle Wertangaben ohne Umsatzsteuer, die grundsätzlich nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten gehört (vgl. § 9b EStG).
[2] Der Wareneinsatz kann nach R 5.3 Abs. 2 S.atz 9 EStR aus dem Umsatz abzüglich des durchschnittlichen Rohgewinns ermittelt werden
Permanente Inventur
Eine Bestandsaufnahme kann auch aufgrund einer permanenten Inventur erfolgen; hierbei kann der Bestand für den Bilanzstichtag nach Art und Menge anhand von Lagerbüchern (z. B. EDV-unterstützte Lagerverwaltung) festgestellt werden. Dabei ist allerdings mindestens einmal im Wirtschaftsjahr der Buchbestand durch körperliche Bestandsaufnahme zu überprüfen. Wegen der weiteren Voraussetzungen vgl. H 5.3 „Permanente Inventur“ EStH. Eine permanente Inventur wird regelmäßig nicht anerkannt bei Vermögensgegenständen von hohem Wert, mit hohem Schwund oder bei hohen Mengendifferenzen (R 5.3 Abs. 3 EStR).
Umfang der Inventur
Das Inventar (Bestandsverzeichnis) muss den Nachweis ermöglichen, dass die Vermögensgegenstände vollständig aufgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen:
Hilfs- und Betriebsstoffe, Verpackung usw.
Unfertige und fertige Erzeugnisse
Aus den Inventur-Unterlagen muss erkennbar sein, wie die Bewertung der unfertigen und fertigen Erzeugnisse erfolgte, d. h., die Ermittlung der (anteiligen) Herstellungskosten ist nachprüfbar und nachweisbar zu belegen. Bei den unfertigen Erzeugnissen sollte der Fertigungsgrad angegeben werden. Vgl. auch R 6.3 EStR.
„Schwimmende Waren“
Unterwegs befindliche Waren sind ebenfalls bestandsmäßig zu erfassen, wenn sie wirtschaftlich zum Vermögen gehören (z. B. durch Erhalt des Konnossements oder des Auslieferungsscheins).[1] Lagern eigene Waren in fremden Räumen (z. B. bei Spediteuren), ist eine Bestandsaufnahme vom Lagerhalter anzufordern.
[1] BFH-Urteil vom 3. August 1988 I R 157/84 (BStBl 1989 II S. 21).
Kommissionswaren
Bewegliches Anlagevermögen
- In das Bestandsverzeichnis müssen grundsätzlich sämtliche beweglichen Gegenstände des Anlagevermögens aufgenommen werden, auch wenn sie bereits abgeschrieben sind. Zu den Ausnahmen siehe Tz. 4.2 und 6.2.
Auf die körperliche Bestandsaufnahme kann verzichtet werden, wenn ein besonderes Anlagenverzeichnis (Anlagekartei) geführt wird; darin ist jeder Zu- und Abgang laufend einzutragen (vgl. R 5.4 Abs. 4 EStR). -
Sofort abgeschriebene geringwertige Wirtschaftsgüter müssen in einem besonderen, laufend zu führenden Verzeichnis bzw. auf einem besonderen Konto erfasst werden, wenn die Anschaffungs- /Herstellungskosten mehr als 250 Euro[1] und nicht mehr als 800 Euro[1] betragen.[2]
Für Wirtschaftsgüter zwischen 250 Euro[1] und 1.000 Euro,[1] die in den Sammelposten aufgenommen werden, bestehen – abgesehen von der Erfassung des Zugangs – keine besonderen Aufzeichnungspflichten; sie müssen auch nicht in ein Inventar aufgenommen werden.[3]
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Leasinggegenstände sind im Anlagenverzeichnis zu erfassen, wenn sie dem Leasingnehmer zuzurechnen sind (z. B., wenn die Grundmietzeit weniger als 40 % oder mehr als 90 % der Nutzungsdauer beträgt oder bei Leasingverträgen mit Kaufoption).
Einzelbewertung – Gruppenbewertung
Soweit es den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht, können jedoch gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens sowie andere gleichartige oder annähernd gleichartige bewegliche Vermögensgegenstände jeweils zu einer Gruppe zusammengefasst werden (Gruppenbewertung nach § 240 Abs. 4 HGB, siehe auch R 6.8 Abs. 4 EStR).
Als vereinfachte Bewertungsverfahren kommen die Durchschnittsbewertung oder ein Verbrauchsfolgeverfahren, wie z. B. bei Brennstoff-Vorräten (sog. Lifo-Verfahren; R 6.9 EStR) in Betracht.
Festwerte
Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (ausgenommen die unter Tz. 4.2 genannten Wirtschaftsgüter) können, wenn sie regelmäßig ersetzt werden und ihr Gesamtwert für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung[1] ist, mit einer gleichbleibenden Menge und einem gleichbleibenden Wert angesetzt werden, sofern ihr Bestand in seiner Größe, seinem Wert und seiner Zusammensetzung nur geringen Veränderungen unterliegt (Festbewertung nach § 240 Abs. 3 HGB). Diese Art der Bewertung kommt z. B. bei Werkzeugen, Flaschen, Fässern, Verpackungsmaterial in Betracht.
Die durch Festwerte erfassten Gegenstände sind regelmäßig nur an jedem dritten Bilanzstichtag aufzunehmen; für Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens ist spätestens an jedem fünften Bilanzstichtag eine körperliche Bestandsaufnahme vorzunehmen. Wird dabei ein um mehr als 10 % höherer Wert ermittelt, ist dieser neue Wert maßgebend (vgl. R 5.4 Abs. 3 EStR).
[1] Vgl. dazu BMF-Schreiben vom 8. März 1993 – IV B 2 – S 2174 a – 1/93 (BStBl 1993 I S. 276).
Durchführung der Inventur
Bei der körperlichen Inventur werden die vorhandenen Vermögensgegenstände physisch aufgenommen. Für die jeweiligen Aufnahmeorte (z. B. Lager, Verkaufsräume, Werkstatt) sind Inventurteams mit jeweils einem Zähler und einem Schreiber zu bilden. Für die Bestandsaufnahme gilt insbesondere:
- Die Aufnahme der Bestände erfolgt in örtlicher Reihenfolge ihrer Lagerung.
- Aufgenommene Bestände sind zu kennzeichnen.
- Während der Bestandsaufnahme dürfen keine Materialbewegungen vorgenommen werden.
- Die aufgenommenen Gegenstände müssen eindeutig bezeichnet werden (ggf. durch Materialnummer oder Kurzbezeichnung). Mengen und Mengeneinheit sind anzugeben
Inventurlisten und Unterlagen sind durchzunummerieren und vom Zähler und Schreiber zu unterzeichnen. Korrekturen während oder nach der Inventur müssen abgezeichnet werden. Aufzeichnungen können auch auf Datenträgern geführt werden. Inventur-Unterlagen sind 10 Jahre aufzubewahren.
Kontrollmöglichkeit
Die Bewertung muss einwandfrei nachprüfbar sein. Das erfordert eine genaue Bezeichnung der Ware (Qualität, Größe, Maße usw.). Falls erforderlich, sind Hinweise auf Einkaufsrechnungen, Lieferanten oder Kalkulationsunterlagen anzubringen, soweit dies aus der Artikelbezeichnung bzw. Artikelnummer nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Wird eine Wertminderung (z. B. Teilwertabschreibung) geltend gemacht, ist der Grund und die Höhe nachzuweisen.