Überwachungsvideo im Kündigungsprozess: Verwertbarkeit trotz DSGVO-Verstoß?
03. August 2023 | Arbeitsrecht
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 29. Juni 2023 (Az. 2 AZR 296/22) entschieden, dass Aufzeichnungen des Arbeitgebers aus einer offenen Videoüberwachung, die ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers belegen sollen, keinem Verwertungsverbot unterliegen. Dies gilt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts selbst dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht in vollem Umfang den datenschutzrechtlichen Anforderungen genügt. Bisher liegt nur eine Pressemitteilung vor.
Was war geschehen?
Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin als Teamsprecher in einer Gießerei beschäftigt. Die Arbeitgeberin warf dem Arbeitnehmer u.a. vor, er habe eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet, sich diese dennoch vergüten zu lassen. Der Arbeitnehmer behauptete, an diesem Schichttag gearbeitet zu haben. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Arbeitgeberin, dass der Arbeitnehmer sich zwar zunächst auf dem Werksgelände befunden, dieses jedoch noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte. Aus diesem Grund kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Im Kündigungsschutzprozess vertrat der Arbeitnehmer die Auffassung, die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden. Die Vorinstanzen gaben der Klage des Arbeitnehmers statt.
Überwachungsvideo kann verwertbar sein!
Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zurück. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hätte das Landesarbeitsgericht nicht nur den Vortrag der Arbeitgeberin zum Verlassen des Werksgeländes durch den Arbeitnehmer vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zugrunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen müssen. Dies ergebe sich – so das Bundesarbeitsgericht – aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts.
Offensichtliche, vorsätzlichen Pflichtverletzung steht datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre eine Verarbeitung der betroffenen personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers durch die Arbeitsgerichte nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung – wie im streitgegenständlichen Sachverhalt – offen erfolgt und ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich unerheblich, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial gewartet und es bis dahin vorgehalten hat.
Mögliche Grenze: Schwerwiegende Grundrechtseingriffe
Ob ausnahmsweise aus generalpräventiven Gründen ein Verwertungsverbot bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, hat das Bundesarbeitsgericht offengelassen, da dies jedenfalls im streitgegenständlichen Sachverhalt nicht der Fall war.